Gestresste Lego Figur am Lego Schreibtisch, symbolisch für ADHS im Erwachsenenalter

ADHS im Erwachsenenalter

 

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Können auch Erwachsene noch von einer ADHS betroffen sein? Wenn ja, was sind Symptome einer ADHS bei Erwachsenen und wann sollte eine ADHS diagnostiziert werden? Was sind effektive Behandlungsoptionen und was sollte dabei beachtet werden? Alle diese Fragen werden wir in diesem Blogartikel beantworten.

In unserer Blogartikel-Reihe „Modediagnose ADHS – Was wirklich dahintersteckt“ hatten wir uns auf ADHS im Kindesalter fokussiert und verdeutlicht, dass ADHS eine neuronale Entwicklungsstörung ist, die im Kindesalter beginnt. Vor dem Hintergrund der Lebensspannenperspektive ist ADHS jedoch eine Erkrankung, die auch Erwachsene betrifft. Die Forschung beschäftigt sich inzwischen stärker mit der Erfassung von ADHS im Erwachsenenalter. In den letzten Jahren wurden klinische Probleme von betroffenen Erwachsenen in psychosozialen Versorgungseinrichtungen stärker wahrgenommen und vielerorts Behandlungsprogramme für Erwachsene etabliert (Steinhausen, 2020).

Symptome und Diagnosekriterien

Längsschnittstudien zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Kinder und Jugendlichen, die von einer ADHS betroffen sind, keine Remission der Symptomatik im Erwachsenenalter zeigen. Bei etwa der Hälfte der Kinder und Jugendlichen persistieren die Symptome und die damit verbundenen Probleme (z. B. Beeinträchtigungen im Beruf, der Partnerschaft und der Freizeit).

ADHS kann sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter anhand der Kriterien im DSM-5 diagnostiziert werden. Dafür müssen im Bereich der Unaufmerksamkeit mindestens fünf Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfüllt sein. Symptome, die häufig im Erwachsenenalter auftreten sind die Folgenden:

  • Flüchtigkeitsfehler oder ungenauer Arbeitsstil,
  • Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit längere Zeit aufrechtzuerhalten (z. B. bei Vorträgen oder Unterhaltungen),
  • Probleme beim Zuhören im Gespräch mit anderen (die betroffene Person scheint mit den Gedanken woanders zu sein, auch ohne ersichtliche Ablenkungen),
  • unordentliches, planlos-desorganisiertes Arbeiten,
  • schlechtes Zeitmanagement, Unpünktlichkeit und
  • häufige Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten (z. B. Telefonrückrufe, Rechnungen bezahlen, Verabredungen einhalten).

Auch in den Bereichen Hyperaktivität / Impulsivität müssen im Erwachsenenalter fünf Symptome über einen Zeitraum von sechs Monaten bestehen, um eine ADHS-Diagnose vergeben zu können. Dazu gehören die folgenden Symptome:

  • subjektives Unruhegefühl und feinmotorische Unruhe,
  • häufiges Aufstehen in Situationen, in denen Stillsitzen erforderlich ist,
  • sich häufig „auf dem Sprung“ fühlen und zumeist „getriebenes“ Handeln,
  • hoher Rededrang, Unterbrechen anderer beim Reden und
  • Ungeduld, kann nur schwer abwarten bis er / sie an der Reihe ist.

Die Symptome äußern sich kontextübergreifend, sie treten also in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens auf (z. B. häuslicher und beruflicher Kontext). Darüber hinaus kann der Schweregrad der Symptome als leicht, mittel oder schwer klassifiziert werden. An dieser Stelle gilt es jedoch auch anzumerken, dass weitere Forschung zur Validierung angemessener altersspezifischer Kriterien für die Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter erforderlich ist (Steinhausen et al., 2020).

Im Vordergrund der klinischen Symptomatik der ADHS im Erwachsenenalter stehen häufig Aufmerksamkeitsstörungen. Dadurch kann es zu erheblichen Beeinträchtigungen bei der Berufsausübung kommen. Bei einem Großteil der Kinder mit ADHS kommt es in der Adoleszenz zu einem Rückgang der grobmotorischen Hyperaktivität. Diese geht im Erwachsenenalter häufig in eine innere Unruhe und der subjektiven Wahrnehmung eines „Karussells im Kopf“ über.

Symptome der Impulsivität und die damit einhergehende Unfähigkeit zu entspannen, führen nicht selten zu Funktionsbeeinträchtigungen im privaten und beruflichen Kontext. Manche Erwachsene mit einer ADHS zeichnen sich durch ein hohes Bedürfnis nach abenteuerlichen und spannenden Aktivitäten aus (z. B. schnelle Autofahrten, Fallschirmsprünge oder andere Risikosportarten, die subjektiv als entspannend wahrgenommen werden). Zudem konnte herausgefunden werden, dass 30 bis 50 % der Erwachsenen mit ADHS unter Stimmungsschwankungen und verminderter Stresstoleranz leiden (Skirrow et al., 2014).

Aus der Literatur geht ebenso hervor, dass Erwachsene aufgrund ihrer ADHS-Symptomatik psychosoziale Beeinträchtigungen aufweisen. Es finden sich im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen geringer qualifizierte Schul- und Ausbildungsabschlüsse, höhere Raten an Arbeitslosigkeit, mehr Fehlzeiten am Arbeitsplatz, weniger Vollzeittätigkeiten, schlechtere Bewertungen durch Arbeitgebende, häufigere Stellenwechsel und Kündigungen, geringere Haushaltseinkommen, höhere Scheidungsraten, mehr konflikthafte Beziehungen und höhere Raten alleinerziehender Eltern (Steinhausen et al., 2020).

Internationale Studien zum Verlauf von ADHS im meist jungen Erwachsenenalter zeigen hohe Raten von Substanzmissbrauch, Delinquenz und Straftaten sowie Persönlichkeitsstörungen gefunden (Agnew-Blais et al., 2018; van Lieshout et al., 2016; Sibley et al., 2016).

Diagnostischer Prozess

Die Diagnosestellung der adulten ADHS beruht auf einer klinischen Untersuchung, die eine Exploration der Symptomatik im Entwicklungsverlauf sowie im Querschnitt beinhaltet. Der Fokus liegt dabei auf der Überprüfung der Diagnosekriterien des DSM-5 oder der ICD-11.

Im Rahmen einer psychologischen Diagnostik wird eine adulte ADHS mit einem standardisiert-strukturierten Interview abgeklärt (z. B. WIR, Wender-Reimherr-Interview). In diesem werden mit jeweils drei bis fünf Fragen die folgenden Symptombereiche erfasst: Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität/Rastlosigkeit, Temperament, Affektlabilität, Emotionale Überreagibilität bei Belastungen, Desorganisation, Impulsivität und akzessorische Fragen. Die jeweilige Merkmalsausprägung kann auf einer Skala von 0 (nicht vorhanden) über 1 (leicht ausgeprägt) bis 2 (mittelgradig und stark ausgeprägt) beurteilt werden.

Die Durchführungsdauer beträgt ca. 30 Minuten. Darüber hinaus erfolgt eine Verhaltensbeobachtung durch den Psychologen oder die Psychologin. Neben dem Interview empfiehlt es sich, Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen einzusetzen, um ein umfassendes Bild der ADHS-Symptomatik in unterschiedlichen Lebensbereichen zu erhalten. Im Rahmen solcher Verfahren (z. B. WURS, Wender Utah Rating Scale oder HASE, Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene) werden ADHS-assoziierte Auffälligkeiten und Symptome des Kindesalters abgefragt und die betroffene Person soll retrospektiv eine Schweregradeinstufung vornehmen (0 = nicht oder ganz gering ausgeprägt, 1 = mäßig ausgeprägt, 2 = deutlich ausgeprägt, 4 = stark ausgeprägt).

Darüber hinaus sollten psychometrische Testverfahren zum Einsatz kommen, um beispielsweise die Konzentrationsfähigkeit / Daueraufmerksamkeit sowie mögliche Beeinträchtigungen exekutiver Funktionen (z. B. unterdurchschnittliche Inhibitionskontrolle) der betroffenen Person abzuklären. Analog zu Kindern und Jugendlichen werden ergänzende Labor- oder apparative Diagnostik für die erweiterte Differentialdiagnostik empfohlen.

Prävalenz und Komorbidität

Zur Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter liegen erst seit jüngerer Zeit Daten aus internationalen Studien vor. Eine Studie in den USA, die 3000 Teilnehmende im Alter zwischen 18 und 44 Jahren untersuchte, ermittelte eine Prävalenzrate von 4,4 % (Kessler et al., 2006). Eine deutsche repräsentative Erhebung an 1.655 Erwachsenen im Altersbereich 18 bis 64 Jahren fand eine Prävalenz von 4,7 % für ADHS (de Zwaan et al., 2012). Somit liegen die Prävalenzraten von ADHS im Erwachsenenalter leicht unter den Raten, die für das Kindes- und Jugendalter gefunden wurden (im Mittel ca. 5 bis 7 %). Auch im Erwachsenenalter sind mehr Männer von ADHS betroffen als Frauen.

Zwischen 70 und 80 % der Erwachsenen mit ADHS leiden an einer komorbiden psychischen Erkrankung, weswegen es zu einer Überlappung von Symptomen kommen kann und eine ausführliche psychologische Diagnostik durchgeführt werden sollte. Zu den häufigsten komorbiden Erkrankungen zählen affektive Störungen, Angststörungen und Suchterkrankungen (Steinhausen et al., 2020). Auch Schlafstörungen werden häufig von Erwachsenen mit ADHS berichtet. Dabei gilt zu beachten, dass der Schweregrad der ADHS-Symptome einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung komorbider Erkrankungen hat.

Therapiemöglichkeiten im Erwachsenenalter

Auch im Erwachsenenalter bestehen bei einer diagnostizierten ADHS verschiedene Therapiemöglichkeiten. Nach der gegenwärtigen deutschsprachigen S3-Leitlinie „ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ soll die Behandlung der ADHS im Rahmen eines individuellen multimodalen Ansatzes erfolgen (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie et al., 2018).

Entsprechend dem Schweregrad der Erkrankung, dem Funktionsniveau, der Art der Begleitstörungen und dem Ausmaß der Beeinträchtigung kommen psychosoziale, psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen zum Einsatz. Die verschiedenen Therapiebausteine können dabei gleichzeitig oder nacheinander eingesetzt werden, je nach Ausprägung der ADHS und der eventuell zusätzlich vorhandenen Komorbiditäten.

Bei ADHS mit einem leichten Schweregrad soll in erster Linie psychotherapeutisch interveniert werden, während bei einer mittelgradigen ADHS nach umfassender Psychoedukation eine intensivierte psychosoziale oder / und pharmakologische Intervention durchgeführt werden sollte. Bei schwerwiegenden Symptomen sollte nach einer intensiven Psychoedukation eine Pharmakotherapie gepaart mit einer Psychotherapie erfolgen (Steinhausen et al., 2020).

Die pharmakologische Behandlung besitzt einen hohen Stellenwert, da sich diese in verschiedenen Studien als wirksam erwiesen hat. Im Rahmen einer leitliniengerechten Behandlung gilt die Medikation in Kombination mit Psychoedukation als erste therapeutische Option (Steinhausen et al., 2020). Die Entscheidung für eine medikamentöse Behandlung und die Auswahl des Medikaments sollte immer gemeinsam mit dem behandelnden Arzt / Ärztin und der betroffenen Person getroffen werden.

Etwa 75 % der erwachsenen Personen, die von einer ADHS betroffen sind, profitieren von einer Behandlung mit Stimulanzien und erfahren eine Symptomreduktion von mindestens 30 % (Retz & Rösler, 2009). Es liegen inzwischen mehrere Metaanalysen vor, in denen die Wirksamkeit von Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADHS untermauert werden konnte.

Neben der Wirksamkeit von Methylphenidat auf die klassischen ADHS-Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität ist in verschiedenen kontrollierten Studien auch eine Verringerung emotionaler Regulationsstörungen nachgewiesen worden (Retz et al., 2012). In der gleichen Studie konnte auch gezeigt werden, dass die betroffenen Erwachsenen durch die medikamentöse Behandlung eine Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität und eine Verringerung der Funktionsbeeinträchtigungen wahrgenommen haben. Stimulanzien werden von Erwachsenen auch bei längerfristiger Anwendung in der Regel gut vertragen. Die Dauer der medikamentösen Behandlung sollte sich daher immer an den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Person orientieren.

Psychotherapeutische Interventionen zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS umfassen gegenwärtig hauptsächlich kognitive Verhaltenstherapie sowie verhaltenstherapeutisch-fundierte Psychoedukation im Einzel- oder Gruppensetting. Dabei werden folgende Ziele verfolgt:

  • Aufklärung der Betroffenen über Ätiologie, Symptomatik, Verlauf, Auswirkungen und Behandlungsoptionen bei ADHS,
  • Aktivierung / Förderung der Selbstmanagement- und Selbstregulations-Fertigkeiten, die mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehen sollen,
  • emotionale Entlastung durch die Interaktion mit anderen Betroffenen und
  • Förderung der Motivation für das konsequente Durchlaufen der Behandlung.

Der Fokus sollte dabei vor allem auf Psychoedukation liegen sowie der Vermittlung von Bewältigungsstrategien, mit denen hilfreiche Verhaltensänderungen herbeigeführt werden, die langfristig zu einer Verbesserung der Alltagsfunktionen beitragen. Gerade die psychosozialen Folgen der ADHS, wie Partnerschaftsprobleme, geringes Selbstwertgefühl, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder rechtliche Probleme, sind einer rein pharmakologischen Behandlung kaum zugänglich und erfordern informierte Betroffene, die sich aktiv am Behandlungsprozess beteiligen.

Fazit

ADHS ist eine psychische Erkrankung, die auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben kann. Bei einem Großteil der betroffenen Erwachsenen existieren noch (residuale) Symptome, die zu deutlichen Funktionsbeeinträchtigungen – etwa im beruflichen Alltag – beitragen können. Haben Sie den Eindruck, dass einige der oben genannten Symptome Sie und Ihre Verhaltensweisen ziemlich treffend beschreiben? Falls ja, dann nehmen Sie Kontakt zu einem Psychologen oder einer Psychologin auf und lassen Sie eine mögliche ADHS im Erwachsenenalter abklären.

Bei TALENT SAFARI führen wir eine ADHS-Diagnostik in Kindes- und Jugendalter routinemäßig durch. Dabei ist es uns wichtig, dass wir nicht nur Kindern und Jugendlichen, sondern auch betroffenen Erwachsenen professionelle Hilfestellungen geben können.

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Dr. Katharina Reschke

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Referenzen

Agnew-Blais, J.C.,Polanczyk, G.V.,Danese, A., Wertz, J., Moffitt, T. E. & Arseneault, L. (2018). Young adult mental health and functional outcomes among individuals with remitted, persistent and late-onset ADHD. British Journal of Psychiatry, 213, 526–534.

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DG-PSJ) (Hrsg.) (2018). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie »Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter«. AWMF-Registernummer 028–045.

Sibley, M. H., Swanson, J. M., Arnold, L. E., Hechtman, L. T., Owens, L. E., Stehli, A. et al. (2017). Defining ADHD symptom persistence in adulthood: op- timizing sensitivity and specificity. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 58, 655–662.

Steinhausen, H. C., Döpfner, M., Holtmann, M., Philipsen, A. & Rothenberger, A. (2020). Handbuch ADHS. Grundlagen, Klinik, Therapie und Verlauf der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Stuttgart: Kohlhammer.

van Lieshout, M., Luman, M., Twisk, J. W., van Ewijk, H., Groenman, A. P., Thissen, A. J. et al. (2016). A 6-year follow-up of a large European cohort of children with attention-deficit/hyperactivity disorder-combined subtype: outcomes in late adolescence and young adulthood. European Child and Adolescent Psychiatry, 25, 1007–1017.