Spielzeugautos auf einem Spielteppich - symbolisch für positive Spielzeit fördern

 Positive Spielzeit für mehr Harmonie

Lesezeit: 5 Minuten

Einführung

Eltern-Kind-Beziehung bei ADHS

Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern mit Aufmerksamkeits‑/Hyperaktivitäts‑Störung (ADHS) ist ist oft angespannt und durch eine komplexe Wechselwirkung von Verhaltensmerkmalen des Kindes, emotionalen Reaktionen der Eltern und dem familiären Umfeld geprägt. Besonders bei Kindern mit sogenannten externalisierenden Störungen, wie einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten, kann der Familienalltag zu einer echten Herausforderung werden. Probleme und Schwierigkeiten sind dann häufig an der Tagesordnung, sei es beim Hausaufgaben machen oder beim gemeinsamen Essen am Tisch.

Zahlreiche Studien zeigen, dass ADHS‑Symptome nicht nur Auswirkungen auf das Kind haben, sondern auch Rückwirkungen auf die Eltern‑Kind‑Beziehung erzeugen (z. B. Eltern‑Ablehnung und erhöhte Reaktivität) – so wird von bidirektionalen Effekten gesprochen: Kinder mit erhöhten ADHS‑Symptomen erleben häufiger Ablehnungserfahrungen durch Eltern, während elterliches Verhalten wiederum mit einer Verschlechterung von ADHS‑Symptomen verbunden sein kann (Meunier, 2007) . Eine längsschnittliche Untersuchung zeigte, dass kindliche ADHS‑Symptome über die Zeit zu höherem mütterlichen Stress, geringerer elterlicher Wärme und zu mehr Konflikten führten, und zugleich elterliche Überreaktion und Stress eine Zunahme der ADHS‑Symptome vorhersagten (Chronis‑Tuscano et al., 2015) .

ADHS ist die häufigste Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Die Kinder zeichnen sich durch signifikante Unaufmerksamkeit und / oder Hyperaktivität  und Impulsivität aus. Diese kindlichen Besonderheiten machen den Familienalltag oft noch stressiger und es verbleibt wenig Zeit, um sich gezielt der Eltern-Kind-Beziehung zu widmen. Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung ist die Einführung regelmäßiger positiver Spielzeit, die gemeinsam mit einem Elternteil und dem Kind durchgeführt wird. Sie sorgt für mehr Harmonie und Entspannung im familiären Zusammenleben.

Was ist positive Spielzeit?

Positive Spielzeit ist ein zentraler Bestandteil vieler psychologischer Trainings und Therapien, wie auch im Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern nach Lauth und Schlottke (2019). Die Kernidee positiver Spielzeit ist, dass sich ein Elternteil intensiv mit dem Kind beschäftigt, um die Eltern-Kind-Beziehung zu fördern. Kinder mit ADHS erfahren oft negative Rückmeldungen, nicht nur von den eigenen Eltern, sondern auch von Lehrkräften und anderen Bezugspersonen (z. B. „Bleib jetzt endlich ruhig sitzen“; „Fang mit deinen Hausaufgaben an“; „Hör auf deine Schwester zu ärgern!“). Häufig führt dies zu negativen Gefühlen wie Frustration beim Kind.

Für Kinder mit einer ADHS ist es daher besonders wichtig, ihre Stärken zu betonen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie wertvoll sind, anstatt vieles falsch zu machen. Gemeinsame und exklusive positive Spielzeit zwischen einem Elternteil und dem Kind (ohne Geschwister) bietet hier einen hilfreichen Ansatzpunkt, um dem Kind dieses Gefühl zu verleihen.

Positive Spielzeit zwischen dem Kind und einem Elternteil wirkt entlastend und bringt viele Vorteile mit sich, allem voran eine Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung. Ein Wirkfaktor liegt beispielsweise darin, dass eine allgemeine Stressreduktion erfolgt, die sich auf emotionaler Ebene durch eine Verbesserung der Stimmung auswirkt. Letztlich führen entspannte Kinder zu entspannten Eltern und damit die positive Spielzeit auch ihre Wirksamkeit entfalten kann, sollten folgende Dinge berücksichtigt werden:

Wichtige Voraussetzungen

Das sollten Eltern vor der positiven Spielzeit beherzigen:

  • Die Spielzeit mit täglich 30 Minuten ansetzen und 5x pro Woche durchführen. Während dieser Zeit beschäftigt sich ein Elternteil intensiv mit dem Kind.
  • Die Spielzeit untereinander klar aufteilen. Es ist nützlich, eine Vereinbarung zu treffen: Wann spielt welcher Elternteil mit dem Kind?
  • Die Spielzeit als tatsächliche Zeit zum Spielen für das Kind definieren. Als Spielzeit gelten keine Versorgungsaktivitäten, wie einkaufen gehen oder Essen zubereiten.
  • Die Spielzeit ausschließlich für das betreffende Kind reservieren. Es handelt sich um exklusive Spielzeit, ohne dass Geschwisterkinder anwesend sind.
  • Die Spielzeit in Innenräumen durchführen. Es ist sinnvoll, wenn das Kind beim Spielen keine grobmotorischen Aktivitäten ausübt, sondern ein ruhiges und konzentriertes Spielen erfolgt.
  • Die Spielzeit positiv anbahnen. Der gemeinsamen Zeit sollte Falls das einmal der Fall ist, dann ist es sinnvoller, die Spielzeit zu verschieben.

Hinweise zur Durchführung

Das sollten Eltern während der positiven Spielzeit beherzigen:

  • Das Kind darf selbst entscheiden, was es spielen möchte. Der Elternteil sollen den Verlauf des Spiels nicht beeinflussen. Es empfiehlt sich eine beobachtende Haltung, also eher passiv und im Hintergrund.
  • Der Elternteil soll keine Kritik äußern und keine Verbesserungsvorschläge vornehmen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Selbstbestimmtheit des kindlichen Spiels.
  • Der Elternteil soll dem Kind etwas Nettes sagen, es loben und ihm gut zusprechen. Diese Vorgehensweise wirkt positiv verstärkend, insbesondere für die Eltern-Kind-Beziehung.
  • Der Elternteil soll körperliche Zuwendung signalisieren. Bereits einfach Gesten wie ein Lächeln oder dem Kind über den Kopf streicheln können wahre Wunder bewirken.
  • Der Elternteil soll geringfügig problematisches Verhalten nicht weiter beachten. Dadurch bleibt der Fokus für das Kind bei der spielerischen Tätigkeit.
  • Der Elternteil soll hingegen auf problematisches oder aggressives Verhalten mit einer deutlichen Geste reagieren und sich vom Kind abwenden. Zeigt das Kind inakzeptables Spielverhalten (z. B. Gegenstände gegen die Wand werfen), sollte es passiv darauf aufmerksam gemacht werden. Dadurch wird die Auftretenswahrscheinlichkeit des negativen Spielverhaltens reduziert.

Auswirkungen von positiver Spielzeit

Positive Spielzeit ist weit mehr als eine bloße Freizeitbeschäftigung – sie ist ein gezieltes, psychologisch fundiertes Werkzeug, das die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung nachhaltig stärkt. In der Praxis hat sich gezeigt, dass Kinder insbesondere dann von der Spielzeit profitieren, wenn sie exklusive Aufmerksamkeit von einem Elternteil erhalten und selbstbestimmt über Spielinhalt und Tempo entscheiden können (Lauth & Schlottke, 2019). Dieses Prinzip der Selbstbestimmung ermöglicht den Kindern, ihre Neugier auszuleben, kreative Problemlösestrategien zu entwickeln und das eigene Können zu erleben – wichtige Bausteine für das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit.

Gleichzeitig wirkt sich die positive Spielzeit direkt auf die emotionale Dynamik in der Familie aus. Studien belegen, dass strukturierte, wertschätzende Interaktionszeiten Stress und Anspannung auf beiden Seiten reduzieren (Chronis-Tuscano et al., 2015). Ein entspanntes, wertgeschätztes Kind reagiert ruhiger, während Eltern durch die positiven Rückmeldungen und das gemeinsame Erleben motiviert werden, weiterhin geduldig und aufmerksam zu bleiben. Diese bidirektionale Wirkung unterstreicht, dass positive Spielzeit nicht isoliert betrachtet werden sollte, sondern als integraler Bestandteil der Familieninteraktion und der täglichen Routine.

Darüber hinaus bietet die Spielzeit einen geschützten Raum, in dem Eltern und Kinder gemeinsam lernen, Grenzen auszuprobieren, Konflikte spielerisch zu lösen und emotionale Signale des Gegenübers wahrzunehmen. Gerade in Familien, die durch ADHS oder andere Herausforderungen belastet sind, eröffnet die Spielzeit somit die Möglichkeit, eine positive Beziehungserfahrung zu etablieren, die über den Moment hinaus wirkt. Langfristig können regelmäßige, gut geplante Spielzeiten dazu beitragen, dass Kinder Freude an sozialer Interaktion entwickeln, emotionale Regulation erlernen und Eltern Sicherheit in ihrer Rolle gewinnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Positive Spielzeit ist kein „Extra“, sondern eine investive Zeit, die nachhaltige Effekte auf Bindung, Selbstvertrauen und emotionale Stabilität hat. Sie schafft Momente der Nähe, Wertschätzung und Freude, die weit über das Spiel hinaus wirken – und stellt somit einen zentralen Hebel dar, um die Eltern-Kind-Beziehung zu festigen und die persönliche Entwicklung des Kindes zu fördern. Wer in positive Spielzeit investiert, investiert also nicht nur in das Hier und Jetzt, sondern auch in eine langfristig stabile, vertrauensvolle und harmonische Beziehung zwischen Eltern und Kind.

Fazit

Diese aufgeführten Regeln sollen Familien den Weg für positive Spielzeit mit ihrem Kind ebnen. Wenn sowohl Voraussetzungen als auch die Durchführungshinweise beherzigt werden, dann wird sich die Spielzeit schnell als sehr nützliche Intervention für zu Hause erweisen. Der Wirkmechanismus ist denkbar einfach: Ein entspanntes Kind lässt auch die Eltern entspannen und umgekehrt. Denn Kinder wollen vor allem zwei Dinge: Aufmerksamkeit von ihren Eltern erhalten und ihrer inneren Entdeckerfreude nachkommen. Und wo geht das besser als bei positiver Spielzeit gemeinsam mit Mama oder Papa?

Wir bei TALENT SAFARI sind uns bewusst, welche Herausforderungen der Familienalltag mit sich bringt, insbesondere für Eltern mit Kindern, die von einer psychischen Erkrankung wie ADHS betroffen sind. Anhand dieses Blogartikels erhoffen wir uns, dass Eltern nicht nur die Nützlichkeit von positiver Spielzeit erkennen, sondern sie mit unseren Hinweisen auch umsetzen. Wir hoffen, dass wir ein wenig Neugier wecken konnten, die positive Spielzeit tatsächlich auszuprobieren. Nur Mut, aller Anfang ist leicht, den schwer ist tatsächlich nur das Dranbleiben. Eigentlich wie immer im Leben. Und glauben Sie uns: Dranbleiben lohnt sich!

Mehr Informationen gibt es auch auf unserem Instagram-Kanal.

Marlis Van den Berg & Tom Reschke

***

Referenzen

Chronis‑Tuscano, A., O’Brien, K. A., Johnston, C., Jones, H. A., Clarke, T. L., Raggi, V. L., … Seymour, K. E. (2011). The relation between maternal ADHD symptoms & improvement in child behavior following brief behavioral parent training. Journal of Abnormal Child Psychology, 39(7), 1047‑1057.

Lauth, G. W. & Schlottke, P. F. (2019). Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Weinheim; Basel: Beltz.

Meunier, J. C. (2007). Parent–child relationships and ADHD symptoms: A longitudinal analysis. European Child & Adolescent Psychiatry, 16(5), 276‑287.